Zusammenfassung

Modul 1

Dem Statistischen Bundesamt (2011) zufolge hat etwa jede/r fünfte BundesbürgerIn einen sogenannten Migrationshintergrund. Menschen mit türkischem Migrationshintergrund bilden hierbei die größte MigrantInnengruppe. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden bundesweit erstmals epidemiologische Daten zur Häufigkeit psychischer Störungen von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund (in deutscher und türkischer Sprache) erfasst. Die Erhebung wurde durch diverse lokale MigrantInnenorganisationen, Vereine und Verbände sowie  Bildungseinrichtungen und Behörden unterstützt.

Die Daten wurden durch ausführliche, klinisch strukturierte Einzelinterviews (n=663) gewonnen. Die Forschungsstandorte in Berlin und Hamburg gingen dabei methodisch unterschiedlich vor. Während in Hamburg eine repräsentative Stichprobe über das Einwohnermeldeamt gezogen und ergänzend mit dem Schneeballprinzip rekrutiert wurde, führte die Berliner Studiengruppe aufgrund anderer datenschutzrechtlicher Rahmenbedingungen eine Vor-Ort-Erhebung in Verbindung mit dem Schneeballprinzip durch.

Aus dem aktuellen Bundesgesundheitssurvey (Robert-Koch-Institut) liegen Vergleichsdaten zur gesamten deutschen Bevölkerung vor. In unseren Daten zeigen sich Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz psychischer Störungen bei Menschen mit türkischem Migrationshintergrund. Die umfangreichen Daten ermöglichen darüber hinaus differenzierte Analysen von möglichen Einflüssen des Alters, des Geschlechts und der Generationen auf die psychische Gesundheit sowie auf die Inanspruchnahme des deutschen psychosozialen Versorgungssystems. Hierbei zeigte sich nicht, dass Menschen mit türkischem Migrationshintergrund seltener zum Hausarzt, Psychiater oder Psychotherapeuten gehen, aber bevorzugt Behandelnde mit Migrationshintergrund aufsuchen.

 

Modul 2

ExpertInnen nennen unterschiedliche Gründe für eine geringere Nutzung einiger psychosozialer Versorgungseinrichtungen durch Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland. So können Kommunikationsbarrieren eine Ursache sein, ebenso wie soziale Hintergründe von PatientInnen/KlientInnen oder Barrieren im deutschen Versorgungssystem, wie etwa die Angst von Mitarbeitenden vor Mehrarbeit oder fehlende niedrigschwellige Angebote. Auch können sich subjektive Vorstellungen zu psychischen Krankheiten bei Betroffenen mit und ohne Migrationshintergrund von denen der Professionellen unterscheiden und damit Einfluss auf die Inanspruchnahme von Versorgungseinrichtungen nehmen.

Aus diesem Grund wurde in Modul 2 durch die Berliner Studiengruppe erhoben, welche Vorstellungen und Konzepte von psychischen Krankheiten unterschiedliche Bevölkerungsgruppen haben. Verglichen wurden Personen ohne Migrationshintergrund mit Menschen mit türkischem Migrationshintergrund in Berlin sowie TürkInnen in Istanbul. Es wurden sowohl Männer als auch Frauen sowie NutzerInnen und NichtnutzerInnen psychosozialer Einrichtungen aus unterschiedlichen Altersgruppen und mit unterschiedlichen Bildungshintergründen befragt.

Insgesamt zeigte sich, dass sich Vorstellungen zu psychischen Krankheiten aller Gruppen ähneln, es jedoch auch wichtige Unterschiede zwischen den Gruppen gibt. So wurden z.B. Krankheitsbegriffe mit unterschiedlichen Bedeutungen, Ursachen und Hilfsmöglichkeiten verknüpft. Auch gab es Differenzen in der Unterscheidung professioneller Berufsfelder. Insgesamt wurde deutlich, dass nicht nur „kulturelle“ Unterschiede eine Rolle spielen, sondern auch Bildungshintergründe und soziale Situation einen wesentlichen Einfluss auf die Erklärungsmodelle psychischer Erkranungen haben.

Um Barrieren zum psychosozialen Versorgungssystem aufzuzeigen, wurden neben der Erhebung zu Krankheitsvorstellungen auch Leitfadeninterviews mit  NutzerInnen psychosozialer Versorgungsangebote ohne und mit türkischem Migrationshintergrund durchgeführt. Bei den NutzerInnen mit türkischem Migrationshintergrund zeigte sich die Relevanz muttersprachlicher Angebote bei der Suche nach psychiatrischen und psychotherapeutischen Angeboten. Dabei spielt nicht nur die Möglichkeit der sprachlichen Verständigung eine wesentliche Rolle, sondern eine vermutete größere Empathie bei muttersprachlichen Professionellen. Zudem wurden lange Wartelisten als explizite Barriere zu einer psychiatrischen oder psychotherapeutischen (muttersprachlichen) Behandlung genannt.

 

Modul 3

Zunehmend findet in Deutschland die von Fachkreisen seit den 1990er Jahren geforderte „Interkulturelle Öffnung“ von sozialen und gesundheitlichen Versorgungseinrichtungen politischen Zuspruch (vgl. Die Bundesregierung 2007; PartIntG). Ziel ist, durch Veränderungen auf Seiten der Versorgungseinrichtungen, wie z.B. durch Anstellung von Mitarbeitenden mit Migrationshintergrund oder migrantInnenspezifische Ausstattungen und Informationen, die Inanspruchnahme von Versorgungsangeboten durch Menschen mit Migrationshintergrund zu erhöhen sowie gleichzeitig deren Betreuung/Behandlung zu verbessern. Finanzielle Zuwendungen aus öffentlicher Hand könnten zukünftig von der interkulturellen Öffnung eines jeden einzelnen Versorgungsangebotes abhängig sein.

Das Ziel des dritten Moduls, das durch die Berliner Studiengruppe durchgeführt wurde, bestand darin, den Stand der interkulturellen Öffnung von psychosozialen Versorgungsangeboten im Berliner Bezirk Mitte, in dem ca. 44 Prozent der EinwohnerInnen über einen Migrationshintergrund verfügen, zu erheben. Zusätzlich sollten Hindernisse der Implementierung aus Sicht von Mitarbeitenden sichtbar gemacht und somit das Konzept der interkulturellen Öffnung hinsichtlich dessen Praktikabilität in Bezug auf den psychosozialen Versorgungsbereich überprüft werden. Hierzu wurden alle psychosozialen Versorgungsangebote des ausgewählten Berliner Bezirks angeschrieben und um eine Teilnahme an der Befragung gebeten.

Insgesamt wurde deutlich, dass Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise in der gemeindepsychiatrischen Versorgung unterrepräsentiert sind, während sonstige psychosoziale Versorgungsangebote diese Bevölkerungsgruppe besser zu erreichen scheinen. Allerdings finden insbesondere Menschen, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, nur erschwert Zugang zum gesamten Versorgungssystem. Oftmals wird ihnen aus sprachlichen Gründen die Inanspruchnahme verwehrt. Ein Aspekt, der z.B. maßgeblich hierfür verantwortlich scheint, ist die fehlende Regelung der Kostenübernahme von DolmetscherInneneinsätzen.

Es zeigte sich, dass die interkulturelle Öffnung aufgrund von Ablehnung und Unkenntnis, aber auch aus strukturellen oder systemischen Gründen nicht flächendeckend umgesetzt ist. So scheinen beispielsweise mangelnde finanzielle Ressourcen einem Einsatz von DolmetscherInnen oder der Übersetzung von Informationsmaterialien in unterschiedlichste Sprachen im Wege zu stehen.

Ebenso stellen sich einige Einrichtungen gegen eine explizite Umsetzung der interkulturellen Öffnung, da deren Fokus auf „Migrationshintergrund“ ihrer Ansicht nach als pauschalisierend, diskriminierend, segregierend etc. empfunden wird.

 

Modul 4

Bei der Behandlung von PatientInnen mit psychischen Störungen, deren sprachlicher oder kultureller Hintergrund sich von dem der Behandelnden unterscheidet, können Irritationen entstehen, die u.a. auch die Behandlungsqualität negativ beeinflussen. Vor diesem Hintergrund wurde durch die Hamburger Studiengruppe erstmals ein entsprechendes interkulturelles Training für MitarbeiterInnen psychosozialer Einrichtungen entwickelt und evaluiert. Dafür wurde im Vorfeld des Trainings zunächst ein Fragebogen zur Erhebung „Interkultureller Kompetenz in der Gesundheitsversorgung (IKG-27)“ entwickelt und psychometrisch überprüft.

Das Training mit 18 Unterrichtseinheiten erfolgte in der Parkland-Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Bad Wildungen. Es stand für alle Berufsgruppen (vom Oberarzt bis zur Reinigungskraft) offen und wurde von diesen auch in Anspruch genommen. Diese Interdisziplinarität wurde von allen TeilnehmerInnen sehr geschätzt. Im Vorfeld des Trainings war zunächst ein Fragebogen zur Erhebung „Interkultureller Kompetenz in der Gesundheitsversorgung (IKG-27)“ entwickelt worden. Das Training selbst wurde durch die TeilnehmerInnen mit Hilfe des IKG-27, durch PatientInnenbefragungen (HEALTH-49 und T-HEALTH-49 und durch eine anthropologische Feldstudie evaluiert.

Im IKG-27 wurden signifikante Verbesserungen der interkulturellen Kompetenz über den Gesamtwert sowie über vier der fünf Skalenwerte gemessen. Bei den offenen Rückmeldungen der TeilnehmerInnen wurde insbesondere die Tatsache gelobt, dass die Fortbildung mit den unterschiedlichen Berufsgruppen sehr gewinnbringend war und die Intervention den divergierenden Anforderungen gerecht geworden ist.

Ein Teil der Trainingsinhalte („Leitfaden zur kultursensiblen diagnostischen Fragestellung“) erscheint in Kürze im DGVT-Verlag.

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